CAPinside-Trend Debatte: "China, ein (un)kalkulierbares Risiko?"

15. September 2021

Artikel auf „CAPinside.com“

Nur wenige Themen haben die Investment-Community in den letzten Wochen so stark beschäftigt wie die chinesischen Märkte. Die regulatorischen Eingriffe seitens der Kommunistischen Partei strapazieren das Vertrauen der Anleger und sorgen für Volatilität an den Aktienmärkten. In unserer CAPinside-Trend Debatte wollten wir daher im August von Ihnen wissen, wie Sie (noch) in das Reich der Mitte investieren – und das ist Ihre Meinung!

Ende August 2021 verkündete die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) ihren nächsten Eingriff in den heimischen Digital-Sektor. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua gab die Einführung neuer Regeln bekannt, die die maximale Online-Gaming-Zeit der unter 18-Jährigen auf drei Stunden pro Woche begrenzt. Dabei ist die neue Beschränkung lediglich eine konsequente Fortsetzung der bereits zuvor gültigen Regelung, die noch eineinhalb Stunden pro Tag vorsah. Zudem müssen die Spiele-Anbieter, darunter etwa die Tech-Konzerne Tencent, NetEase, XD Inc und Bilibili nun sicherstellen, dass die Nutzer sich mit ihrer echten Identität registrieren und anmelden und dafür ihren Personalausweis hinterlegen. Im Kampf gegen die „Online-Sucht“ und das „geistige Opium“ will China so noch mehr Kontrolle bekommen und dem Missbrauch vorbeugen.

Das jüngste Vorgehen der Regierung beschränkte sich aber nicht nur auf die Gaming-Industrie: Auch eCommerce- und eLearning-Anbieter mussten zuletzt aufgrund der regulatorischen Einschnitte und der damit einhergehenden Umsatzrückgänge Federn an den Aktienmärkten lassen. Unterschiedliche Schätzungen kommen zu dem Ergebnis, dass durch das harte Vorgehen der Regierung Unternehmenswerte von mehr als 1,2 Billionen US-Dollar in den letzten Monaten vernichtet wurden. Für Anleger stellt sich die Frage, ob und wie man das politische Risiko von China-Investments überhaupt noch adäquat bepreisen kann.

Alles nur ein (teures) Missverständnis?

Eine sehr spannende Sicht auf China und seine politische Führung lieferte CAPinside-Experte Lukas Hofer zur Debatte. In seinem Beitrag wies er darauf hin, dass man die Politik der Kommunistischen Partei nicht aus der Perspektive der kapitalistischen Marktlogik verstehen könne. Es sei wichtig anzuerkennen, dass die Parteiinteressen nicht mit den Interessen „Chinas“ übereinstimmen müsse. „Wirtschaftswachstum ist für die Partei nicht die Priorität, sondern Stabilität, der Machterhalt sowie die dafür notwendige Kontrolle“, so Hofer. „Die Annahme westlicher Beobachter, die KPCh würde von drakonischen Regulierungen absehen, wenn sie dadurch der chinesischen Wirtschaft schade, verkennt die Realität.“ Westliche Anleger müssen verstehen, so Hofer, dass Wachstum, Profitstreben oder Shareholder-Value die Konzepte von Demokratien und freien Märkten sind. Man müsse damit rechnen, dass  kurzerhand ganze Branchen zu Non-Profit-Sektoren transformiert werden können.

Allerdings bleibt der wahre Beweggrund der KPCh, wie etwa bei den eLearning-Unternehmen, für Anleger häufig im Verborgenen. „Offiziell wird dies mit Daten- und Verbraucherschutz und der Förderung von fairem Wettbewerb begründet, inoffiziell schwingt zum Teil jedoch vermutlich auch die Klarstellung der Machtfrage mit“, brachte es Lena Lochner von der Bayerischen Vermögen Management AG auf den Punkt. Laut der Portfoliomanagerin ist der grundlegende Treiber für die Eingriffe der Anfang 2021 veröffentlichte Fünf-Jahres-Plan, der das übergeordnete Ziel „zusammen reich werden“ formuliert. So sollen Ungleichheiten in der Einkommensverteilung abgebaut und mittelfristig die Binnenwirtschaft angekurbelt werden. Klar wird: Investments in die chinesischen Märkte sind und bleiben mit Unsicherheiten verbunden – das dürfte auch erklären, warum zehn Prozent der befragten CAPinside-Member hier noch nie investiert waren.

Sind China-Investments alternativlos?

Fragt man die CAPinside-Community, fällt die Antwort auf diese Frage recht eindeutig aus! Neun von zehn Befragten gaben an, dass sie investiert sind oder dies in Zukunft planen. China-Aktien sind also unumgänglich, so scheint es. Kurzfristig, so die große Mehrheit von 65 Prozent, sollen die bestehenden Positionen gehalten ­werden. „Dennoch kann es interessant sein, den Rückschlag an den chinesischen Börsen zu nutzen, um vorsichtig eine Position dort aufzubauen und langfristig an den Wachstumschancen Chinas teilzuhaben“ kommentierte Finanzjournalist Christian Hiller von Gaertringen in seinem Debattenbeitrag. „Für eine solche Strategie, die zugegeben Risiken birgt, bieten sich Anlegern dann wohl eher Fonds an. Für besonders vorsichtige Investoren sind Produkte eine Möglichkeit, die nur wenig in jenen Branchen engagiert sind, die gerade unter Druck stehen.“ Beutetet im Klartext: Die Titel der wachstumsstarken Tech-Branche wie JD.com, Pinduoduo, Baidu, NetEase, Meituan oder Tencent eher meiden.

Wie hoch ist der China-Anteil eigentlich im Depot?

Hand aufs Herz: Wissen Sie genau wie viel China Sie aktuell insgesamt im Depot haben? Sollten Sie nur in den MSCI Emerging Marktes anlegen, sind es auf einen Schlag knapp 40 Prozent China-Anteil. Allein die Top-Holdings Tencent, Alibaba und Meituan bringen zusammen mehr als zehn Prozent am Index auf die Waage. „Ist das noch vernünftige Risikostreuung oder doch eher ein Klumpenrisiko?“, lautete daher die berechtigte Frage von CAPinside-Expertin Jessica Schwarzer. In ihrem Beitrag beschrieb die Marktkennerin, wie sich die Gewichtung der Schwellenländer-Indizes in der Vergangenheit entwickelte und wie diese die ökonomischen Realitäten widerspiegeln. Gleiches gelte aber auch für den MSCI World Index, wo das Klumpenrisiko US-amerikanischer Unternehmen mittlerweile bei über 65 Prozent liegt. Dennoch ist sich auch der von Schwarzer zitierte Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management, sicher: „Chinesische Aktien haben durch die jüngsten Kursverluste wieder an Attraktivität gewonnen, denn trotz politischer Risiken und Regulierungsrisiken bleibt für uns China ein langfristig attraktiver Markt.“

15 Prozent der insgesamt knapp 200 auf CAPinside befragten Finanzprofis sieht dies ähnlich und wird China zukünftig sogar noch stärker im Portfolio gewichten. Weitere zehn Prozent planen erstmalig zu investieren. Die Frage, ob Investments in das Reich der Mitte ethisch korrekt sind, muss dabei jeder für sich beantworten. „Die Bewertung der moralischen Vertretbarkeit von Investitionen an einem Aktienmarkt richtet sich nach dem individuellen Wertegerüst eines Anlegers. Wir glauben jedoch, dass eine Bewertung dieser Frage auf Unternehmensebene in den meisten Fällen zielführender ist als auf Länderebene“, erklärt Portfoliomanagerin Lochner.

Ein passendes Resümee lieferte Finanzjournalist Lukas Hofer: „Fest steht: China bleibt weiterhin ein attraktiver Wachstumsmarkt, aber die regulatorischen Risiken steigen. Damit werden China-Anleger in Zukunft leben müssen.“